archiv.09.2002
 

02.09.12.22:25:43
ögyr

unbedingt nicht; allgemeine verspätung

der morgen und der abend, kurz nach sonnenauf- und kurz vor sonnenuntergang, unterscheiden sich jetzt, übersommert schon in so etwas wie allgemeine verspätung, gar nicht so sehr dadurch, dass das licht sich um 180 grad gewendet hat und die abendschatten dort liegen, wo morgens die sonne kroch, sondern durch weg.marken, die hand.schrift tragen, also spur von tätigkeit von händen. morgens in der noch im nachthemd daliegenden straße, auf die ich trete, um ins hamsterrund zu treten, pflügen bauarbeiter mit schwerem gerät den asfalt. der presslufthammer ist ein instrument gegen idyll.wahrnehmung, die beim dauerlauf durch den park droht. der emsige lärm der maschinen macht klar, dass der morgen insofern flüchtig ist, als man sich, eben aufgestanden, sofort beschleunigen muss, gekeilt in einen rahmen aus zeit, plänen und zukunft, die unweigerlich ist.

zurückkommend am früh.abend hingegen, diesmal nicht im zu weichen bett aus wohlgenährtem verliebtheits.konstrukt, so gegen 18 uhr, geblendet von der herabfallenden sonne, ruhen die maschinen verlassen am mit rot.weiß.band abgesperrten straßen.rand und DUFTEN. vorbeigehend, die tüte aus dem plastik.not.einkauf am hand.knauf wie einen unerzogen zerrenden dackel, strömen sie einem den geruch aus heißem gummi und geöltem metall entgegen. das ist leider idyll.

denn man hat den geruch schon mal genau so gerochen, was insofern das problem ist, als das um die 30 jahre her ist und man es nicht vergessen hat. es riecht nach schrottplatz in einem spätsommer vor 30 jahren. von sonnenschein erhitzte autowracks, dazwischen unkraut, das sich wuchernd reckt. dieser geruch ist insofern idyllisch, als er im kopf verschaltet ist mit einem gefühl von sicherheit, das man damals so nicht empfand, wie man es jetzt als moment des vergangenen glücks rekonstruiert. man war insofern frei gewesen auf dem abenteuer.spielplatz der wracks, als dieser platz zukünftiger sehnsucht (in der damaligen wahrnehmung nämlich genau nicht ein platz der vanitas) eine enklave war in einem rund herum beschützten raum. der hieß kindheit und war sicher, weil von unbedingten verlässlichkeiten wie „sei bitte um sieben zum abendbrot zurück“ oder dass man nachts einfach nur schlief.

der satz „fürchte dich nicht, ich bin bei dir“, dieses aus dem küchenfenster auf den spielplatz hinunter zum nach.hause.kommen gerufene „ich habe dich bei deinem namen gerufen“, ist jetzt, 30 spätsommer später, nur noch satz, symbol, konstrukt. und ein hart umkämpftes feld von schein.geborgenheit. man ist definitiv nicht mehr zuhause, hat keines mehr, lediglich punkte auf einem stadtplan, die vertrautheit allein dadurch vorspiegeln, dass man sie so oft anläuft, jeden tag, dass man ihnen eine gewisse beständigkeit andichten kann, weil sie noch da sind, wenn man sie wieder trifft.

das unbedingte, das ein gefühl wie geborgenheit oder auch liebe benötigt, um fühlbar und nicht nur sagbar zu bleiben, ist jetzt an bedingungen geknüpft. zwischen denen schlängelt man wie am platzeck zwischen den bauwagen und maschinen hindurch auf dem schleichweg. es ist alles ein abenteuer.spielplatz, nicht mehr umstanden von bäumen, scharf.gezeichnet real und nicht idyllisch. der neue punkt am morgen, eilend, wo man vorbeikommt, um die zeitung in den briefkasten zu werfen. den schlüssel in der hand, das zärtliche papier. bote, der nichts bietet als diesen service, der sich ergeben hat, nicht mal abgesprochen, den er einfach fortsetzt, geduldet. an der seite der frau, von der ich den eindruck habe, ich sei in sie verliebt, mit der man pärchen spielt aber nicht ist, weil dazu abreden nötig werden, die sich nicht treffen lassen, sitze ich, schaffe mir berührungs.illusion mit der fernsteuerung von blicken, steigere die empfindlichkeit der wahrnehmungs.instrumente, und bin rückgratlos und flitzgebogen angespannt. man erfüllt bedingungen, die alle „sine qua non“ sind. hier ist genau nichts einfach, niemals, und also ist es ein zustand absoluter unfreiheit, in der man allenfalls das ebenfalls geforderte „man selbst“ sein kann, weil dieses „selbst“ zwischen gittern noch am widerständigsten, somit sichtbarsten wirkt. wirkt, aber natürlich nicht ist. man muss sich so und so verhalten, um etwas wie eine „prästabilierte harmonie“ außerordentlich künstlich zu schaffen. man ist gärtner in einem gewächshaus, dem spielplatz, der nur insofern schutzraum ist, ein ort des „fürchte dich, sonst bin ich nicht bei dir“, weil die zerbrechlichkeit der scheiben zum himmel, in die dieser stürzen könnte, immens ist. alles ein drahtseilakt. anspannung, immer am äußersten.

ausruhen von dieser tortur im nächsten kerker, im biwak, in das ich abends gegen spätestens zehn hinausgeworfen werde, weil sie morgens früh raus muss. im exterritorialen gebiet zwischen dem abend der ruhenden und riechenden bau.maschinen und dem morgen, wo sie schon wieder tätig sind, in der nacht also, hat man plötzlich zeit und fällt ins leere. kein halten mehr, daran hält man sich fest und hegt das gefühl, das man verliebtheit nennt, gießt hoffnung ins feuer, ist unbedingte rand.bedingung, notwendig, aber nicht hinreichend.

nachts nochmal raus. wie die maschinen jetzt riechen. tau geht nieder, mischt sich mit dem ölfilm auf der hydraulik zu regenbogen.schiller.locken im licht der straßen.laterne. über mir sehe ich sterne, unter mir die durch gräber watenden füße, die entfernt scheinen. man träumt. man träumt mutwillig. man ist verloren. und schon wieder zu spät.


02.09.15.16:46:16
ögyr
es wird heraus geschaut aus was, das in was rein schaut

fenster zu, es ist kalt. tag der wolke. himmelsschüchtern. gestern abend am meer, kurz vor sonnenuntergang. sehr romantisch. auf fröstelnden nacktfüßen durch den sand. wellenkämme im haar. ein gewisser beleuchtungseffekt der gesichter. von früher erzählen. summe dieses sommers nicht eingeschlossen. es könnte noch was hinzukommen.

die sätze sind unvollständig, reihung von subjekten und objekten mit attributen. das verb fehlt. das tu.nicht.gut.wort. es findet keine handlung statt. das wort ich findet nicht statt. es wird heraus geschaut aus was in was hinein. auf der kippe. auf kippe sein. auf jemanden stehen. stehen, gehen, sein. stehen und gehen ist gut, sein problematisch. der wind weht tang.reste und sand. morbide bilder. küssen wollen.

es wird nicht geküsst. tür zu, es zieht. licht aus. angst wie einen degen vorsichtig aus dem futteral ziehen. im dunkeln. scharfe schneide. überhaupt und angst. wie jemand, der nicht schlittschuhlaufen kann und dazu auf einem eis steht, das nicht sonderlich vertrauenserweckend wirkt. so eine angst. die bisschen kitzelt. aber du sollst dich nicht mit ihr einlassen, denn das wird wehtun. „es soll wehtun.“ die sonne rutscht hinter die kulisse. es wird nicht geküsst.

es wird auch nicht mehr wie damals. das stück wird nicht wiederaufgenommen. dennoch vergleiche zwischen vorgestern und heutemorgen. moment der sehnsucht. man ist da intensiv, kann da nicht locker bleiben, nicht cool, nicht bulette, nicht frikassee. nicht davon lassen. pudding. im restaurant am meer gibt es fisch in verschiedenen varianten. gebraten oder blau. am strand stehen wohnmobile mit leuten drin. ein paar, in schlaf.säcken. eine männer.runde, blau. aus einem wohnmobil schaut was raus, das sich wie „fun for me“ von moloko anhört. es wird heraus geschaut aus was, das in was rein schaut. es wird angesehen. es wird ’ne muffe geschoben. angst.

das seltsame ist, dass die angst hauptsächlich vor sich selber angst hat. wie bei einem anfallskranken, der „auren“ hat, der was kommen sieht. und das was kommen sehen ist viel schlimmer, als wenn es da ist. das schlimme an der angst ist ihr enormer „möglichkeitssinn“ bei völlig unterentwickeltem „wirklichkeitssinn“. (das ist von musil. übrigens. klammer zu, es reicht.)

erinnerung an die übungen in der therapiestunde. man saß in so einem swing.sessel von ikea. man sah aus dem fenster raus, wenn man über die beantwortung einer frage nachdachte. „was fühlen sie jetzt?“ man antwortete nicht, dass man sich jetzt, in dem moment, mit den gelben blättern hinter dem fenster beschäftigte, innerlich, draußen. draußen, nicht drinnen. drinnen seminar.anstrengende arbeit an der diagnostizierten verlustangst, die als ursache der depression ausgemacht worden war. „sie müssen durch den schmerz gehen.“ so sätze. mit verb. vollständig. tu.worte wie befehle. das „durch den schmerz gehen“ war allerdings vergleichsweise einfach, verglichen mit dem noch schmerzlosen zustand, wo die angst die angst vor dem schmerz war, zeitlich gesehen, davor. man arbeitete hier in der therapie nicht zuletzt daran, den drohenden verlust dadurch zu vermeiden, dass man nach dem sieg über die angst vor dem verlust sich in einer weise verhielt, die den verlust unwahrscheinlicher machen sollte. da lag der zirkel.schluss. man sollte keine angst mehr haben müssen, indem man keine angst mehr hatte. man sollte überhaupt eigentlich nicht mehr müssen, eher wollen.

aber man darf nicht. die angst hat sich verlagert. man hat jetzt nicht mehr angst vor dem verlust, sondern davor, dass es gar nichts geben wird, was man verlieren könnte. die angst vor dem davor.

es wird nichts mehr kommen. hier ist küste, das ende vom land. jetzt kommt wasser. die jacke hochgeknöpft. das gesicht gegenüber. schönheit. „not for me!“ der sonnenuntergang. es geht zur neige. es ist vorüber. wo nehm’ ich, wenn es ...? fahnen, die wirklich „klirren“. ein witterungs.gefühl. es wird nichts kommen. es wird nicht geküsst. es wird fremd geblieben. man kannte die körper. man hatte sich schon mehrmals nackt gesehen. das fernwirkungswerkzeug blick war darüber gegangen. etwas wie neugier. eine feuchte stelle im stirn.lappen. auf dem tisch drei sonnenblumen, die sehr schön gelb ausgesehen hatten.


02.09.18.02:00:33
ögyr
aufbrüchiger untergang

der genosse macht wahlwerbung. er steht vor dem foyer des konzertsaals, in das menschen mit anzügen und abendkleidern rein gehen. der genosse ist die verhärmte füllung zwischen zwei sandwich.plakaten, die ihm am rücken (aufschrift: „das erste mal“) und vor dem bauch (aufschrift: „arbeit soll das land regieren“) hängen. in der hand hält er flugblätter, die ihm niemand abnimmt. der genosse geht auf und ab, lebende litfass.säule. aufrechte starre der salzsäule, ein aufbrüchiger untergang.

dem genossen ist seit dem sommer, wo ich ihn sah, wie er in schlappen kurzen hosen vor der freilichtbühne stand, ein bart gewachsen, strubbelig, so genannt ungepflegt, weil so genannte revolutionäre nicht auf pflege ihrer selbst aus sein können. sie haben so genannte höhere ziele als sich selbst, sie denken an das so genannte „ganze“, den entwurf, der größer ist als sie und in dem sie rädchen sind, das für den sieg rollen muss. dem genossen ist der bart gewachsen, den ich mir im sommer abrasiert habe. die summe der bärte bleibt konstant. die bärte verlagern sich nur. sie gehen von einem auf den anderen über. wie ein staffel.stab.

ich weiß von dem genossen zum beispiel, dass ihm seine so genannte frau so genannt weggelaufen ist, abhanden gekommen. ich weiß von dem genossen zum beispiel, dass er bei seiner bürgerlich so genannten arbeit versagt hat. ich kann davon ausgehen, dass der genosse deshalb verbittert ist. wenn man sich selbst abhanden kommt, sind größere ziele als man selbst zuhanden. man kann sich daran festhalten. und eigentlich hält der genosse auch nicht die flugblätter fest, er hält sich an ihnen fest. er hat die flugblätter nicht selbst geschrieben, aber er hat sie durch den kopierer gejagt. er hat die frohe botschaft unfroh vervielfältigt. auf den flugblättern, die niemand vor dem foyer des konzertsaals haben will, steht ein weg zur erlösung aufgeschrieben. es steht da was von einer anderen welt drauf, die nicht von dieser ist. wer nicht weniger als eine neue welt entwirft, macht fehler. der wahlspruch „arbeit soll das land regieren“ ist falsch. er ist falsch, weil der begriff arbeit falsch gewählt ist. die alte arbeit ist gemeint, die ausbeuterische, die nur deswegen noch gelten kann, weil sie ausbeutung in selbstausbeutung verwandelt hat, in das sandwich.stehen und flugblätter nicht verteilen.

aber es ist gut fehler zu machen.

es ist davon auszugehen, dass der genosse, selbst wenn er nicht ein einziges flugblatt verteilt haben wird, wenn er nachhause kommen wird, in eine provisorische behausung der vorstadt, in der er wieder allein sein wird, nur er und die wichtige sache, für die er herumgestanden ist, etwas wie stolz fühlen wird. er wird sich besaufen, denn er sieht aus, als sei er einer, der sich besäuft, und am ende der flasche schwitzen oder weinen. oder beides. er wird denken, dass er nicht wichtig genug ist angesichts der sache, für die er herumsteht, und das wird ihn trösten. er tut nichts für sich selbst, das ist sein bekenntnis und seine letzte kraft.

dieser trost wird ihm am nächsten tag wieder sein sandwich anlegen, die flugblätter in die hand nehmen und sich vor einen belebten ort stellen lassen. der trost wird trost sein, weil er so trostlos ist.

und der hahn hat einmal gekräht.

denn ich stehe vor dem foyer und grüße den genossen nicht. meine faust ist ein taschen.fäustchen. ich weiche ihm aus, damit er mich nicht sieht. damit er mich nicht so sieht. damit er nicht sieht, dass ich glatt rasiert und parfümiert bin, sonnenseegebräunt und verliebt. wie der genosse annimmt, dass sein unglück notwendig ist für den kampf, den er kämpft, nehme ich an, dass das „kleine glück“, gegen das ich nicht mehr ankämpfe, notwendig ist für meinen nicht.kampf. ich kämpfe inzwischen für die große sache, die ich heißt. der kampf um sie ist genauso schwer zu gewinnen wie der um das wir und das ihr, das keine flugblätter aus händen nimmt. das nicht liest. aber das tröstet mich nicht. so nimm denn meine hände.

und der hahn hat zweimal gekräht.

ich bin nicht mehr als einer der geringsten unter euch. so eine botschaft ist zu kompliziert für wartende vor konzertsälen. konzentrierte suchen hier nach zerstreuung, nicht nach lektüre von blättern, auf denen steht, dass der geringste von ihnen nicht weniger ist als sie selbst. der genosse ist der berg, der dahin kommt, wo niemand auf ihn klettern will. das ist die mühe der ebenen.

und der hahn hat dreimal gekräht.

wendig flüchte ich vor dem genossen, vor seinem blick. denn ich kenne des menschen nicht und kenne den genossen, diesen typus kämpfer, zu gut. indem ich meinen bart neulich abrasierte, habe ich gesagt, dass ich keiner mehr unter solchen genossen sein will. ich schaue auf die anderen plakate, die an den scheiben des konzertsaal.foyers hängen und gewisse kulinarische zerstreuungen ankündigen, plakate, die ich gemacht habe, in meiner zerstreuten lohnarbeit. das polnische tanztheater mazowsze zum beispiel. oder die große johann strauß gala, der zigeunerbaron mit zigeunrischen kotelletten, die ich ihm wachsen ließ. den bart habe ich ihm abrasiert, wildwuchs.pixel verwandelnd in glatt rasierte haut.pixel. ich habe dieses gras noch ausgerissen, damit es grün bleibt. ich habe mich selbst ausgerissen aus der mitte der pflanzerkolonne, die viel und doch zu wenig auf ihr revolutionäres bewusstsein hält, die die arbeit frei machen soll.

ich warte vor dem foyer zu dem konzertsaal auf den sieg der revolution, der ich jetzt eigensinnig den namen der frau gebe, in die ich verliebt bin. mein wahlkampf galt ihrer wahl, ihrer stimme, einem lippenkreuz auf meinen lippen, den gekreuzten armen einer umarmung an meinen hals in dieser schönen schlinge. darauf setzte ich all meine hoffnung – wie einst. ich habe den habitus des verlorenen abgelegt – aus kalkül, aus wahl.arithmetik. ich bin präzise im ausrechnen von chancen. ich habe ihr flugblätter geschickt, die sie nicht lesen wollte, aber dann doch gelesen hat, weil sie wusste, dass sie von meiner hand waren. aber das hatte keine bedeutung und keine folgen. die plakate, die auf meinen gratlosen rücken und meine kränkelnde brust geschrieben standen, wurden nicht gelesen.

ich habe dem genossen nichts voraus und doch so viel. nichts, weil ich einst wie er so stand, flugblätter verteilend, auf denen botschaften standen, die ich erhoffte, aber nicht glaubte. ich habe ihm etwas voraus, weil ich jetzt aushalten muss, dass ich nicht mehr an seiner seite stehe, nicht mehr auf derselben seite der barrikade. wir suchen dasselbe glück, aber wir wissen nichts mehr voneinander und deshalb stehen die barrikaden zwischen uns und kräht mir der hahn dreimal, als ich den genossen verleugne, um mich nicht mehr zu verleugnen im nicht.verleugnen der genossen.

niemand hat gesagt, dass es einfach sein würde, dass der marsch nicht beschwerlich wäre. uns beiden nicht. dass uns nicht die welten trennen würden, deren trennung wir nicht glauben wollten, indem wir sie aufzuheben versuchten. wir standen niemals jeder an seinem platz, weil niemand von uns hier einen platz hat. mein immer noch bis zur doofheit des traurigen clowns treuer genosse nicht, der leierkastenmann auf dünnem eis, und auch ich nicht an der seite der frau, in die ich verliebt bin. wir warten auf das eintreffen des zwar nicht unmöglichen, aber gänzlich unwahrscheinlichen. wir haben keinen sinn für unwahrscheinliches, weil wir das unmögliche für möglich halten.

die frau, in die ich verliebt bin, kommt von hinten an, knufft mich zärtlich in die seite. ich drehe mich um, sehe ihr lächeln. „komm, wir gehen rein“, flüstert sie nah an meinem ohr. und nimmt meine hand wie einen kuss. aber nur wie. wie wir rein gehen, sehe ich aus dem augenwinkel, wie der genosse seine plakate von rücken und bauch nimmt, den flugblattstapel einrollt und in die tasche seines verschossenen mantels stopft. ich habe gesiegt, indem ich gescheitert bin, und ich scheiterte im siegen. dieser, derselbe, satz geht durch uns. und wir gehen hinein, ganz kurz arm in arm und seit an seit – der genosse, die genossin und ich.


02.09.30.01:26:03
ögyr
freies spiel der kräfte 1.0

es geht um muskeln. es geht um maschinen und die tüchtigkeit der funktionen der körper. das programm heißt lifestyle. ich habe bluthochdruck. dann fällt hartes krafttraining für dich aus, meint patrick. patrick ist der welcometrainer. er spricht seinen namen englisch aus. er ist blond und schön. man ist hier blond und schön. und man trägt den nadelstreif der fitness, nicht meine schwarze turnhose, die zwar von adidas ist, drei streifen an der hüfte, die aber das kleine verschossene schwarze, also jetzt graue t.shirt, das darüber hängt, versteckt. okay, jörg, sagt patrick. der paternoster.trick, jeden dauernd in jedem satz mit seinem namen anzusprechen, statt einfach nur du oder nix zu sagen. oder eben das angehängte du, dem anfänger angehängt, du.

aus dem wörterbuch der leibesübungen lerne ich heute die vokabeln: fat burner, fat burner plus, cardio. aber wir machen’s erstmal manuell. missionarsstellung. auf dem stepper, einer maschine zum treppensteigen. hinauf auf die erfolgsleiter, unter schweiß, aber ohne blut und ohne tränen. du musst dich entspannen. im freien spiel der kräfte übernimmt das programm der maschine den takt, reguliert selbsttätig die trainings.herzfrequenz. ist 130 okay für dich, jörg? jörg sagt ja. bisschen zu kleinlaut. wäre 150 besser gewesen? bin herzpatient. stent, nicht stenz. okay, 120, okay? okay. alles okay.

logisch.

okay, ich lasse mich auf diese strategie ein, zumindest zeitweilig taktisch vorübergehend, zumindest experimentell, und verbrenne mein fett, fleißig, schweißig. auf den videoschirmen, dem fitness.theater, laufen die spots von viva und mtv, in denen schöne menschen einen auf action machen. geronnene beats. beat me, feed me. flagellanten auf ergonomisch ausgefeilten apparaten, auf etwas zu eilend. knallenge frauen und muskelzüchter mit kleinhirnvorfall. total sauber. klinisch. du musst das gerät hinterher reinigen, desinfektionsspray steht da vorne. logisch, das leuchtet ein.

auf den monitoren der geräte werden wichtige eckdaten angezeigt: herz.frequenz, logisch, leistung in watt, kalorien.verbrauch, geschwindigkeit virtuell, schwierigkeitsgrad zwischen 1 und 20. patrick tippt für mich erstmal 5 ein. fat burner plus auf niedrigst vertretbarer stufe. damit gerade noch was burnt. gebrannt hatte ich immer, an beiden enden, gebranntes kind. und jetzt treten. all die hamster in ihren laufrädern, tierchen mit pläsierchen. kompatibel werden. anpassungs.prozess.

beobachtung.

das grauhaar mit spindelbeinen, das den eliptical strider tritt. sieht nicht lächerlicher aus als ich, aber genauso lächerlich. auf dem rad, strampelnd wie’n kleinkind. nachholend, was das kind versäumte. löten am körpergewicht. dauernd zahlen, parameter, durchorganisiert. trainingsprogramm. hinten von der muskelmaschine höre ich beständig einen keucher, der mich aus dem takt bringt. uuhff.aff, uuhff.aff. riesige bizeps, arme wie baumstämme, stahl. das diadem der schweißperlen, hier der schönste schmuck, auf der stirn. na, jörg, kommst du in schweiß? fragt patrick. der mann, den man englisch aussprechen muss. mein kleines schwarzes, das grau ist, verschossen, wird schon nass.

die freundin mit den schönen füßen. jetzt in schuhen. wie ich mich freue. ihr lächeln. und wünscht mir viel spaß. ein bisschen spöttisch. ich lehne am nachbargerät, triefend, und rede ihr was. als sei ich hier schon der meister. ich meistere mich. ich. sowieso. geplänkel. sich anstaunen, aber das natürlich nicht zugeben. wo es getränke gibt. danke. bitte. bitte sagen. ihr was sagen. auf dem laufband, letzte 10 minuten, schaue ich sie an. meine freundin, wie sie tritt. ohne nacht im blut bin ich, ganz wach. puls 145.

ich bin schon nass.

beweisstück nasses t.shirt. dass man wirklich litt, schweißtuch. kreuzigung bitte nur, wenn man keine probleme mit dem kreuz hat. sonst lieber das andere gerät. geräte. ein knie geht um die welt, es ist ein knie, sonst nichts. geraten. wohl geraten. auf dem laufband läuft mein programm hügel. es muss weh tun. logisch.

mit dem handtuch, das man sich locker um den hals hängt, hier, gehe ich zur dusche. 80 minuten in 500 kalorien gemessen. gemessenen schritts. am neon.himmel über mir sowas wie stolz. krank. natürlich. in mir das milchsaure gesetz. gesundheit. genießen. heimlich schluckauf. in der dusche, wo man nackt den rest des körpers beschaut, den kopf dabei als unförmig groß empfunden, riecht es nach fitten aromen. herrenduft. herrenmensch. guten tag, herr mensch, you are welcome. willkommens.angebot. gebote: du sollst nicht dick sein. du sollst fit sein. du sollst dich nicht töten. du sollst viel trinken. selters, cola light. en.light.enment auf nike, adidas, puma. und so. es riecht nach boss, nach hugo, smells like victory. die gestählten. große schwänze. kanonen. spritzenhaus dusche. nur das grauhaar, bisschen wie ich, ungelenk, im zweifel ein verlorener, der mit anstand an den fronten office for windows, frau, kardiologie kämpft. wir kleingeschwänzten. fremdkörper.

man wird wieder wer. ein bisschen, wenn man biss hat.

ich beiße die zähne zusammen und mir auf die zunge, von denen ich tausend hätte, blinkte noch ein licht für poesie auf den anzeigen. blinkt aber nicht. ich trete in die pedale, iambisch, wobei sich der fünfhebige alexandriner nicht mit dem four to the floor beat synchronisieren lässt. der beat des freien spiels der kräfte ist ein anderer. jetzt meiner. ja sagen. nicht nein dazu. sich einlassen. und treten und schwitzen. nach oben, damit man obenauf wird. unten der sumpf der rest.erschöpfung, die alte geschichte, immer neu. ein jüngling liebt. in meinem spind lungern die alten kleider, die noch nie leute aus mir gemacht haben. ich stehe nackt, so wie gott mich nicht schuf, bäuchlein war nicht vorgesehen, schaue an mir herunter, an dem vom sommer am see immer noch braunen körper. und erröte.


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