archiv.12.2002
 

02.12.04.00:15:51
ögyr
zu bereden

schreib’ ihr, weil es dinge zu bereden gibt. die verhandlung des seins oder nicht seins. schädel in der hand, die stirn darein gestützt. über den tasten, dem meer der mitteilung. mail raus, ejakulat. hinterher liest sich das immer noch mal anders. aber okay. okay, dies wörtchen. zustimmung, dass der text gut gewesen sei in den maßen des textes. neunzig.sechzig.neunzig. sie kann damit wuchern, macht mich schwach. ich kann sie sehen, wie sie durch mein büro, es querend, kurz auf klo geht. oder caro.kaffee holen. oder brezel, schokoladig, aus dem aldi.lebkuchen.pack. mir gibt sie das herz. wohl bekomm’s. ich fress’ es.

das herz will mehr, wo ihre füße gehen durch meine hand. im verzichten wird was an mir groß. heimlich. kerzenschein und wie man das licht ausmacht. wie sie sich ansehen, der liebende und die ihn nicht liebende. respect, mista, missa! das herzverzichten in der hand, die brust nicht, diesen kleinen bauch, nicht nabel, nicht das, was wäre, aber ist, darunter. im krank sein ist das gefühl des gesundens immer schon geschlacht. nicht schlecht, herr specht. klick.peckers revier.

und ich verschwieg die schwellung, massierte mich im netz. kunst nenn’ ich das, das tun dort, das weh als weh.weh.weh. und nochmal rein, noch einen schlot weit, liebeskugeln voller schnee. ich schreib’ ihr, weil es dinge zu bereden gibt.


02.12.09.22:50:13
ögyr
von einem, der auszog 1-2

- beim verpacken der bücher aus der regalzeile polit & philosophie kommen im papp.karton „der archipel gulag“ (solschenizyn) und „stammheim“ (bakker-schut) zufällig nebeneinander zu liegen. beide ehedem auf dem jeweiligen index gewesen. jeweils konzentrations.lager. jetzt in der kiste.

- auf dem karton der vermerk mit edding: „keller. später sichten.“

- die kartons aus dem baumarkt. aufklappen. umdrehen. falt.falt. einstecken der falze. umdrehen. auf den boden hart aufschlagen und gerade biegen.

- die erwartung war, dass vieles weggeschmissen würde. zwei kartons aufgeschlagen für alt.papier. „ich übergebe der blauen tonne die schriften des ...“ (gen.c.). sie bleiben leer. doch wieder alles mitgenommen. nichts losgelassen. mehr als „der kleine radio.apparat“ (brecht).

- ein eigener karton für arno schmidt. „zettels traum“ (reprint, beutestück) passt nicht rein, über.format. waage: 5,4 kg.

- einige wände jetzt leer. tabakrauchspuren zeichnen noch die buchrücken an der wand nach. die tastatur hallt jetzt im zimmer. biwak. kurz nach dem südpol, auf dem rückweg, nicht mehr angekommen, scott in sein tagebuch, mit gefrierenden fingern. zelt. schlafsack. draußen wintersturm.

- das „dazwischen“, auch in den noch eingerichteten zimmern nie verlassen, wird es jetzt wieder sichtbar. vorher müll.haufen. jetzt als geordnete leere der gestapelten kartons im eck.

- neue adresse gemailt: waisenhof.straße 38.

- aufbruch, das fürchten zu lernen.

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- in der küche: schlingen. schlingern.

- auf der ring.straße höhe café.welt stakt der künstler ioerg b. über die straße. manche schwemmen auf, er ist dürr geworden. die kleidung mit streifen. zielpunkt der autoscheinwerfer. es heißt, er bewohne noch eine kammer über dem club.68. ein rest von solidarität mit ioerg b. so ein gefühl von hoffnung. als die 68 hieß und, stellt man die zahl von den füßen auf den kopf, 89 also, spätestens, zuende war. ziffern- und chiffren.tausch: 98, sehr heißer sommer, interview mit ioerg b. im künstlerhaus schwentine.schule, wo jetzt eine straße durchgeht, wo er eine kammer bewohnte, vor allem aber bemalte. alles voll mit farbe und gegenständen zum farbe auftragen und gegenständen, wo man farbe drauf blutet. leinwand, grabtuch, flasche und so. das olle „nemesis.problem“ (gen.k.). „bilderwut“: wenn die papiertischdecke auf dem einzigen riesigen tisch in der zimmermitte voll war mit abraum, dosenabdrücken, kotze, mit kritzelei, nahm sie ioerg b. aus der horizontalen und schlug sie an die wand. kunst! an einer der tischdecken draußen im hof das interview. ioerg b. bietet wodka an. aus der flasche, gläser waren nicht aufzutreiben. trinken, reden. und wie er mich zum abschied umarmte, warm und knochig. seine hände. ((wie ich heute herzchen auf die morgens gebrachte zeitung kitzle.))

- in diesen zeiten ist (es) keine kunst unterzugehen. das künstlerische problem dabei besteht lediglich darin, dies nicht kokett, sondern ernsthaft zu tun.

- etwa im wohnzimmer: der boden voll mit papieren. sortieren angefangen. dann entschluss: rückmarsch, zusammenraffen der reste, wegschmeißen.

- abnahme vom regalkreuz: lucky.01.01 bis lucky.01.04. und das kleine schwarze. leer. drei farben: schwarz.weiß.rot.

- schrank: schweißtücher, schweißerbekleidung und eine schweißerbrille. aufgesetzt. spiegel im fenster. insekt draußen. tonne. weg! sieht mich an.

- hintertreppe, selbstgespräch über onanie, über laminat. schichten abzutragen mit dem schwamm. essig.wasser.

- 98, märz: eingezogen. damals in einem augenblick inszenierter verzweiflung in der küche über dem mikrowellen.ofen einen zettel aufgehängt. darauf frei nach brecht: „das chaos ist nicht aufgebraucht, es ist die beste zeit.“

- frei nach goetz/neubauten: „man muss davon ausgehen, dass der stein brennt.“

- konsequenzlosigkeit: umrechnung im handstandüberschlag, dass ich hier circa eintausendneunhundertachtundsechzig suhrkampbuchseiten text produziert habe. text & bild gesamt: circa eintausendneunhundertachtundsechzig megabyte. die rechnung mit edding auf der rückseite einer mühsam abgeschwommenen zehnerkarte für die lessing.halle.

- währenddessen im büro: der kampf wird jeweils im bewusstsein der gerechtigkeit geführt. es geht um höheres als um dieses streiten. morgens gespräch nach der erhitzung gestern. einsichten. und wer kämpft für das recht, hat zwar nicht immer recht, aber ist schön. jeweils. mitten im lauf. die kleine berührung, ganz entfernt angedeutete umarmung. nur dieses streifen, das noch wie früher ist. und hoffnung. und ein gefühl, so sehr freundschaftlich, der freund doch, in all dem.

- meine kragenweite: ausgeleierte pullover xl, altkleidersammlung.

- davor im büro neue.heimat: die frau mit dem augenaufschlag über dem bildschirmkasten, der deswegen durchbohrend ist, weil er schön ist. und darum geht es doch, oder? um schönheit, um nichts als schönheit? eiserne jungfrau.

- der kleine schreibapparat zwischen den kisten. brennpunkt. allein mit sich und der schrift. was geblieben ist, passt auf die festplatte und ist nur deshalb geblieben. noch viel mehr platz für viel zurückbleiben. 63.von.80 gigabyte.

- die kleidung mit den streifen, ioerg b., wie er den rinnstein überschreitet, tischleindeckdich, ungedeckt, ungelenk nicht geleckt, die arme breitend über dem kopf, kopf hoch! und also die hände!


02.12.16.09:58:10
ögyr
von einem, der auszog 3

in den gefilden der wärme (und der zärtlichkeit) nämlich ist es auf eine weise dunkel, die unantastbar ist. man geht nicht einfach herum in diesen hainen, sich ergötzend, delektierend, blüten aussaugend, man steht vielmehr davor wie vor tempelsäulen, zwischen denen das tor eisern bleibt, gewissermaßen, und verschlossen. man wird dabei ein meister dieser verschlusssache, wächter auch, lanzenbrecher, äffchen mit wiederholungszwang. und versucht das im bildflächenmontat wiederzugewinnen und widerzugeben. was nicht gelingt, dies wieder.holen nicht, weil es genau so sich zwar zu ende sehen lässt, durch gespreiztes durchsichtig, aber eben genau nicht denken.

die frage ist, ob man das undenkbare fühlen kann.

man meint ja immer, man könne das. man könne sozusagen vorfühlen, was dort zu erwarten wäre, und werde dadurch, durch diesen noch.nicht.eindruck noch angespornter. aber leider gibt es keinen naturgesetzlichen zwang zur verwirklichung. unten drunter, im keller, wo sie nichts hat als etwas an, geht was wie willen herum, in rüstung, rostig, ein quietschemann, den man nicht zum quietscheentchen umdichten kann. und auch nicht lachen. nein, das ist der kapuzen- und sensenträger, dies memento.dingsbumms.

die frage ist, ob man überhaupt fühlen kann, wenn man daran denkt, wie sich das gefühl anfühlen könnte.

denn man ist ja genau genommen durch das ständige „davor“ so weit vom „dahinter“ entfernt, dass der sprung, der hier not täte, nichts mehr überbrücken kann. es sei denn, man unterschätzte die weite des zu überbrückenden tals, der ebene zwischen den gipfeln, und überschätzte die sprungfederkraft, die abstoßungsreaktion der eigenen glieder von jener anziehungskraft erde, die so groß ist, dass man schon sprichwörtlich dazu einst wieder werde. davon aber ist im moment nicht auszugehen. also bleibt man stehen. und zuhaus’.

im denken geht es erstaunlich wenig darum, wie sich das denken genau genommen anfühlt. man hat da oben keine nerven dafür. der stirnlappen: ein kissen, sehr weich, unempfindlich. wie watte.

man geht von nichts aus und man geht heute auch nicht aus, weil man nicht berechtigt ist, von etwas auszugehen. man bleibt. man sucht sich orte für das bleiben. und man bleibt zuhaus’, weil man nirgends zuhaus’ ist. genau deshalb. es gibt genau genommen keine orte mehr, von denen aus das mögliche etwas anderes als unmöglich wäre.

das teleskopische gefühl des schachtel.halms beim verdörren.

und der deckel passt nicht auf den topf, die guten gehen ins kröpfchen. es bleibt etwas zurück. und davon noch, immer davon, so sehnsüchtig, träumt man. man träumt vom undenkbaren und von dem gefühl, das das undenkbare auslösen würde, in den gefilden der wärme. zurück in den gefäßen, fassungslos.


02.12.18.00:08:05
ögyr
von einem, der auszog 4

schwankend geh’ ich auf noch dünnerem eis. ihr seht mich immer noch fragend und singend. ich singe, gebunden in abgeerntete garben. über mir, immer noch, der vollmond, der, so weiß der himmelskundige, im tiefen winter die bahn der sonne im hochsommer nachzeichnet, ekliptik high heel winkelnd am firmament, lichtträger um mitternacht, streifend den zenith, den höhepunkt. gestirnte, die ihr haupt darein stützen und in die hand ohne widerstand, in das gefäß aus wein und weinen.

die zärtlichkeit der paare, junger eheleute, schon eingeübt, aber noch spürbar der rest der ersten verliebten begeisterung. die ringe an den händen, lebensversicherung. in guten wie in schlechten tagen. und heute sind die guten. die guten ins töpfchen. ich aber singe aus dem kropf heiser dies lied, das zwischen den jahren ich noch trauriger verklagen werde den abschneiderinnen der fäden, die gehen vom sommer hierher. aus dem sommer, wo ich im see schwamm, begeistert, entgeistert. ein geist jetzt in den leer hallenden kühlen zimmern. zwischen den kisten. das biwak aufschlagend. ein ei einsam aufschlagend in die pfanne.

vorwärts nimmer, rückwärts immer. an mir, in verharrung, wehten die roten romantischen fahnen. eine neue welt zu bauen, den neuen menschen gleich dazu, im schonungslosen selbstversuch. den herzkatheter zur not in den eigenen leib gesteckt. glück versprechend. rosenrot.

trunken brech’ ich ein ins zu dünne eis, höre gurgelnd die wasser, den geist darüber, schaue die augen, bete an, bitte ab und segle in die mitte des teiches, im nachen, der dort leck geschlagen versinkt.


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