what you see is
(not)
what.you.get
exposé

Was man sieht, schreiben (inklusive des („später“ aber eben nicht „währenddessen ...“ Verworfenen). Die Idee: Eine Web-Cam gibt ins Netz, was sie sieht. Doch wer be-schreibt es? WYSIWYG.What.You.See.Is.(Not).What.You.Get! Der Video-Performance-Künstler Denis Beaubois ließ eine Kamera filmen, was er beim „überwachenden“ Beobachten schrieb. Das ist ein Ansatz, den auch WYSIWYG verfolgt. Eine Kamera überträgt live ins Netz den Augenblick. Dazu chattet eine Tastatur, was sie sieht. Text, den das Live-Bild vorgibt, online im Moment und „Content“.

„What You See Is What You Get“ war in den frühen Tagen der Textverarbeitung ein Qualitätsmerkmal. Der Text auf dem gedruckten Dokument sollte so aussehen wie der Text am Bildschirm, das virtuelle Bild am Schirm sollte dem auf dem Papier, dem klassischen Träger von SCHRIFT, so weit wie möglich ähneln.

Doch ähnelt der Text auch dem, was er beschreibt? Wohl kaum, denn er ist „nur“ Text, das Bild „nur“ Bild. Dennoch: Der Text evoziert Bilder. Und online, Text und laufendes Bild gemeinsam, könnte man sich davon überzeugen, wie sehr und wie wenig Text und Bild WYSIWYG sind.

Der klassische Modus: Da ist ein Text, bebildert, um das zu verdeutlichen, was der Text sagt. Siehe Abbildung Eins, Zwei, Drei. Umgekehrt haben die Bilder längst dem Text den Rang abgelaufen, denn durch sie kann man „zappen“. Durch den Text zu „zappen“ bedingt HTML, die Hyper.Text.Markup.Language, die Sprache der Links. WYSIWYG will Bilder durch Text bebildern und vertexten, und durch die Links.

Es geht um Zeichensysteme, auch um die Tatsache, dass sich in Bildern Texte durch Austausch einzelner Pixel (auf der Ebene des Grundmaterials) steganografisch kassibern lassen. Ist im Bild noch Text verborgen?

Aber auch das Bild ist Text. Der Film-Text, die Dramaturgie der Auswahl, was und was nicht. Wo drücke ich ab? Wann sage ich „Record it!“ und „This is a recording“?

Dass der Film des Textes immer durch den Text laufe, zeigt die „pretty.public.privacy“. Im Tagebuch des Beobachteten wird die private Sicht (privacy) der Bilder, die sich auftun, sichtbar, sie wird öffentlich (public) in den Nischen (pretty) des Netzes, sie wird schön im Augenblick. Du bist so schön, verweile doch, lässt der Augenblick fordern.

Dass das Drinnen oder Draußen des Textes wie der Bilder/Metaphern immer nur eine Perspektive des Erzählers sei, haben wir geahnt. Dies gilt es nun WYSIWYG zu wissen. Kommt hinten raus, was vorne in die Linse ging? Natürlich nicht und natürlich doch!

Ich berichte vom Spielzeug: Wie das daliegt im Fenster der Beobachtung. Das Flugzeug aus REVELL-Plastik ähnelt doch dem, das CNN zeigt, wenn es Bomben abwirft. Und der Blick aus dem Zielfenster des Flugzeugs, das zielsicher ins Ziel seine Bombe lenkt. Was ist wirklich? Das Plastik eher als seine Simulation in der ganz wirklichen WYSIWYG-Simulation?

Das ist auch der Modus des erzählenden Textes, dass er als Kunstform immer eine Spur wirklicher erscheint als die wirkliche Wirklichkeit, die - irgendwie - dahinter steht.

Die Avatare im Chat-Text sind wirklicher, das Schlanke-Athletische der Vorspiegelung ist wirklicher als die Realität der Fettsucht des dahinter Verborgenen. Ihn aber zeigt die WYSIWYG-Kamera. Zu zeigen, was man wirklich sei. Aber dies auch im Text, kontrastierend zum Bild, zu sagen, das ist die Frage nach dem „What You Get“.

What You See ist nimmer What You Get und damit die Verwirrung und Hoffnung, die Text als Widerspruch immer ist und fordert.

Das Schreiben des Sonetts etwa, gefilmt auf Schirm und Tastatur, zeigt den Unterschied zwischen dem What You See und dem What You Get. Der Monolith des Textes am Ende, wie er dann „da steht“ (und nicht anders kann), verschleiert (indem er das Verworfene nicht mehr zeigt) seinen Ursprung im Vorgang seiner Entstehung. Letztere gilt es zu protokollieren im Record des Augenblicks des so genannten Schöpfungsakts, des so genannt „inspirierten“ Moments, damit die Transpiration des Verharrens, des immer wieder rauschhaft Wartens auf genau diesen mythisch verklärten Augenblick, erklärlich wird. Das What You Get (das Ge-Schriebene, das Sonett) wird vielleicht erst verständlich, wenn man auch das What You See (den Vorgang des wirklich jetzigen, noch gegenwärtigen Schreibens) wirklich sieht. Das ist „der Angriff der Gegenwart“ (Alexander Kluge) des Schreibens „auf die Zukunft“, die in der Vergangenheit des Ge-Schriebenen nur unvollkommen aufbewahrt ist.

Dazu die Bilder, die so sehr, so laufend im Bitstream, real erscheinen. (Ich nehme auf Video auf: „In Gefahr und größter Noth bringt der Mittelweg den Tod“ von Edgar Reitz und Alexander Kluge, 1974, auf VOX. Zwischendrin ist Werbung: „American Express“, „Hast du Lust?“, „Es ist an der Zeit, ein Bier zu brauen ...“, „Nadja, 19, Ich bin Sex-Lehrmädchen“. Dass ich das nicht wegschneide ist WYSIWYG.)

--> pretty.public.privacy.webcam

--> video.1: sonett.online

--> video.2: sonett.letztbegrünung